Geschichte der Stubengesellschaft

Über dreihundert Stubengesellschaften gab es einst im süddeutschen und nordostschweizerischen Raum, die alle nach ihrem Versammlungsort, der «Stube» benannt sind. Hier – in einer Art Ratshaus – regelte das örtliche Patriziat die Angelegenheiten des Gemeinde-Alltags.

Von allen bekannten Stubengesellschaften ist Rheinau die drittälteste. Sie ist bereits 1431 im sogenannten «Gesellschaftsbrief» dokumentiert und muss damals schon bestanden haben

 

 

 

Eine Abschrift des Gesellschaftsbriefes von 1431 findet sich unter diesem Titel
im Stubengesellschaftsbuch
von 1743

Es sind auch die alten «Ordnungen, Satzungen, Recht und Gebraüch Einer Stuben=Gesellschafft» überliefert sowie die «Regeln, Satzung= und Ordnungen Eines Bauwmeisters», des Stubenknechts und des Gesellschaftsschreibers.

 

Aus dem 15. Jahrhundert sind kaum weitere Zeugnisse der Stubengesellschaft auf uns gekommen. Gegen Ende des Alten Zürichkrieges um 1450 wird die «Stube» als Versammlungsort der Bürgerschaft erwähnt.

 

1510 entsteht unter Verwendung von Teilen des mittelalterlichen Vorgängerbaues das mächtige Gesellschaftshaus zur Stube. Der Name «Trinkstube» erklärt sich aus dem Schankrecht, welches dem Haus verliehen war.

 

In alten Akten taucht die Stube 1543 auf; der erste Stubenknecht begegnet uns namentlich im Jahre 1595. In einem Rheinauer Gerichtsprotokoll vom 22. Mai 1663 wird von einem heftigen Raufhandel zwischen dem Stubenknecht und einem Stubengesellen berichtet.

 

Ab dem 17. Jahrhundert sind Gemeinde- und Gerichtsversammlungen auf der Stube bezeugt. Auch die Schützengesellschaft tagte auf der Stube, lag doch der Schiessplatz gleich daneben.

 

 

 

Die Rheinauer Trinkstube mit Schützen-
haus und Zielscheibe

Der Charakter der  Gesellschaft selbst war zu dieser Zeit und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wohl vornehmlich gesellschaftlicher Natur. In ihr fanden sich die gehobeneren Bürger des Städtchens und der Klerus aus dem Kloster. Der «Stubenschatz» bestand aus silbernen und vergoldeten Bechern, welche zumeist von Äbten und Klosterleuten gestiftet worden waren.

 

Becherinschrift, festgehalten im Inventar des Stubenbuches

Noch 1798 bestand das Vermögen der Stubengesellschaft neben dem zinsfreien Haus und einigen Gütern aus 16 Bechern, einer Anzahl Kannen und 800 Gulden in bar. Nach den revolutionären Umwälzungen in diesem Jahr kam das bisher «reichsfreie» Rheinau unter die helvetische Republik. Um eine Konfiskation ihres Gutes durch die neue Obrigkeit zu verhindern, wurden die Becher an Juden verkauft, ohne dem Prior des Klosters, der Mitglied der Gesellschaft war, davon Anzeige zu machen. Als man auch bei der Verteilung des Bargeldes den Prior und einige weitere Gesellen ausschloss, erhoben diese beim Distriktstatthalter Klage. Als die Verwaltungskammer in Zürich von der Liquidation erfuhr, verbot sie jede Veräusserung des Vermögens.

 

Zu spät – die kostbaren Werte waren zerstreut und kamen nie wieder zusammen, und trotz der Neukonstituierung im Jahre 1801 fand die Stubengesellschaft keine finanzielle Basis und in der 1803 gebildeten zürcherischen Landgemeinde Rheinau auch keine politische Funktion mehr. Sie erlosch nach unbedeutendem Dahinfristen im Jahre 1810.

Erst im Jahre 1985 entsannen sich Rheinauer Freunde der längst vergessenen Gesellschaft und gründeten sie erneut. Altes Schrifttum wurde beigebracht, ein neuer Stubenschatz angelegt, das Gesellschaftshaus aufs Prächtigste restauriert. In der Pflege historischer Werte, gesellschaftlicher Traditionen und kultureller Güter hat die Stubengesellschaft heute wieder eine schöne und stolze Aufgabe.

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

Die Satzungen von 1431 im Stubenbuch von 1743 und ein im Jahre 1987 neu gestifteter Stubenbecher